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EuGH bestätigt: Erteilte Zulassung für ein Arzneimittel ist Voraussetzung für den Antrag auf ein ergänzendes Schutzzertifikat

Datum: 16. Januar 2018
Intellectual Property Alert

Die jüngste Entscheidung des EuGH zum ergänzenden Schutzzertifikat (ESZ) könnte Pharmaunternehmen, die den Patentschutz ihrer Produkte mit einem ESZ ergänzen wollen, Sorgen bereiten. In dem Urteil entschied der EuGH (C-567/16), dass eine im Rahmen des dezentralen Zulassungsverfahrens ergangene Mitteilung über den Abschluss des Verfahrens nicht mit einer erteilten Zulassung im Sinne der ESZ-Verordnung gleichzusetzen ist. Der EuGH setzt mit dem Urteil seine streng-formalistische Auslegung der ESZ-Verordnung fort. Pharmaunternehmen, die zum Zeitpunkt der Einreichung einer Zertifikatsanmeldung noch nicht über eine erteilte Marktzulassung verfügen, laufen Gefahr, die Möglichkeit eines ergänzenden Schutzes durch ein ESZ zu verlieren. Dies wiederum kann Wettbewerbern die Möglichkeit geben, früher in den Markt einzutreten, und somit erhebliche Auswirkungen auf die Kommerzialisierung eines Produkts haben. Im Folgenden besprechen wir das Urteil im Einzelnen.

I. Einführung und Hintergrund
Das ergänzende Schutzzertifikat (ESZ) ist ein entscheidender Bestandteil der arzneimittelbezogenen Forschungs- und Entwicklungslandschaft in Europa tätiger innovativer Pharmaunternehmen. Ein ESZ ist sowohl ein Ausgleich für die im Rahmen einer Zulassung erforderliche komplexe und zeitaufwendige Entwicklung, als auch ein Anreiz für die Pharmaindustrie, neue Arzneimittel zu erforschen, da ein ESZ einen exklusiven Schutz für bis zu weitere fünf Jahre zusätzlich zur Patentlaufzeit von 20 Jahren bietet. Es hat sich gezeigt, dass das ESZ insbesondere für die Entwicklung von Wirkstoffkombinationen und der entsprechenden Arzneimittel von Bedeutung ist.

Nach Artikel 3 lit. a) und b) der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 (ESZ-Verordnung) ist unter anderem Voraussetzung für eine Erteilung in dem jeweiligen Mitgliedsstaat, dass das Arzneimittel durch ein gültiges Grundpatent geschützt ist und eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel (Zulassung) erteilt worden ist. Ein Grundpatent kann entweder ein erteiltes nationales Patent oder ein nationaler Teil eines erteilten europäischen Patents sein, das weder widerrufen noch erloschen ist. Eine Zulassung kann im Rahmen eines dezentralen oder eines zentralisierten Zulassungsverfahrens gemäß der Richtlinie 2001/83/EG (AM-Kodex), der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 und den anwendbaren nationalen Vorschriften zur Umsetzung und Ergänzung der europäischen Vorschriften erteilt werden. Das komplexe System von Patentschutz und regulatorischen Anforderungen einerseits sowie die Verflechtung europäischer und nationaler Regelungen andererseits, führt zu einer Vielzahl offener Fragen, deren Klärung eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) bedürfen.

In seiner jüngsten Entscheidung (C-567/16) hat sich der EuGH mit den Fragen befasst, (i) ob eine vor Ablauf des Grundpatents von einem Referenzmitgliedstaat im Rahmen eines dezentralen Zulassungsverfahrens herausgegebene Mitteilung über den (erfolgreichen) Abschluss des Verfahrens einer erteilten Zulassung im Sinne der ESZ-Verordnung entspricht und entsprechend ein ESZ, das Bezug darauf nimmt, erteilt werden könne, und (ii) ob das Nichtvorliegen einer erteilten Zulassung zum Zeitpunkt der Zertifikatsanmeldung einen Mangel im Sinne des Artikel 10 Abs. 3 der ESZ-Verordnung darstellt, der im Erteilungsverfahren nachträglich heilbar ist.

II. Zugrundeliegende Fakten des Falles
Merck & Co., Inc., war Inhaberin eines europäischen Patents, das unter anderem den Wirkstoff Ezetimib sowie Zusammensetzungen von Ezetimib mit bestimmten anderen Wirkstoffen schützt. Das Patent wurde am 19. Mai 1999 erteilt und war bis zu seinem Laufzeitende am 13. September 2014 in Kraft. Im September 2013, nach mehrjähriger Entwicklung einer Tablette mit den Wirkstoffen Ezetimib und Atorvastatin, hat MSD, eine Tochtergesellschaft von Merck & Co., Inc., für das Arzneimittel Atozet im Rahmen des dezentralen Zulassungsverfahrens in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten Zulassungen beantragt und Deutschland als Referenzmitgliedstaat festgelegt. Die zuständige Behörde (BfArM) informierte MSD am 10. September 2014 in einer Mitteilung über den (erfolgreichen) Abschluss des Verfahrens. Gemäß Artikel 28 Abs. 5 des AM-Kodex hat jeder Mitgliedstaat sodann innerhalb von 30 Tagen über die Zulassung entsprechend der Mitteilung zu entscheiden. Aufgrund dieser Fristen wurde MSD in den verschiedenen Ländern in einen Wettlauf mit der Zeit gezwungen, da nach Artikel 3 lit. a) und b) der ESZ-Verordnung zum Zeitpunkt der Zertifikatsanmeldung sowohl ein gültiges, das heißt im vorliegenden Fall ein noch nicht abgelaufenes, Grundpatent als auch eine erteilte Zulassung erforderlich ist.

Bemerkenswerterweise wurde im Vereinigten Königreich eine Zulassung erst am 10. Oktober 2014 erteilt, während die französische Behörde die Zulassung bereits am 12. September 2014 erteilte. Mit Blick auf das nahende Ablaufdatum des Patents reichte MSD im Vereinigten Königreich einen Tag vor Ablauf des Grundpatents, also am 12. September 2014, eine Zertifikatsanmeldung ein und verwies in der Anmeldung auf die Mitteilung über den (erfolgreichen) Abschluss des Verfahrens des BfArM. Im November 2014 ergänzte MSD die Zertifikatsanmeldung vor dem United Kingdom Intellectual Property Office (UKIPO) unter Vorlage der beiden erteilten Zulassungen im Vereinigten Königreich und Frankreich.

Während die zuständigen Behörden einiger Mitgliedstaaten – wie Dänemark, Griechenland, Italien und Luxemburg – ein ESZ erteilten oder zumindest erklärten, dass die Anforderungen des Artikels 3(b) erfüllt seien und folglich die Mitteilung über den (erfolgreichen) Abschluss des Verfahrens als mit einer erteilten Zulassung gleichwertig akzeptierten, lehnte das UKIPO die Erteilung des ESZ ab. Als Begründung führte es aus, dass zum Zeitpunkt der Anmeldung keine Zulassung erteilt worden sei und dieser Mangel nicht gemäß Artikel 10 Abs. 3 der ESZ-Verordnung behoben werden könne. Die Behörden in Schweden und Portugal lehnten die entsprechende Zertifkatsanmeldung aus ähnlichen Gründen ab.

MSD legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein. Obgleich der zuständige High Court of Justice (England and Wales) Chancery Division, Patent Court, in einer Stellungnahme andeutete, die Ansichten des UKIPO zu teilen, setzte das Gericht das Verfahren im Lichte der abweichenden Meinungen in anderen Mitgliedstaaten aus und legte dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1.     Ist eine vom Referenzmitgliedstaat nach Art. 28 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83 vor Ablauf des Grundpatents herausgegebene Mitteilung über den Abschluss des Verfahrens einer erteilten Zulassung im Sinne von Art. 3 Buchst. b der ESZ-Verordnung gleichzustellen, so dass der Anmelder eines ESZ in dem betreffenden Mitgliedstaat berechtigt ist, auf der Grundlage dieser Mitteilung ein ESZ anzumelden und zu erhalten?

2.      Falls Frage 1 verneint wird: Handelt es sich, wenn unter den fraglichen Umständen zum Zeitpunkt der Anmeldung eines ESZ in dem betreffenden Mitgliedstaat dort keine Zulassung erteilt war, um einen Mangel, der nach Art. 10 Abs. 3 der ESZ-Verordnung geheilt werden kann, sobald die Zulassung erteilt worden ist?

III. Die Entscheidung
Im Kern hat der EuGH die Entscheidung und die Argumentation des UKIPO bestätigt. Auch diese jüngste Entscheidung bestätigt den strengen, formalistischen Ansatz bei der Auslegung der ESZ-Verordnung, den der EuGH bereits in mehreren früheren Entscheidungen angewandt hat.

Teleologische, das heißt die allgemeinen Ziele der ESZ-Verordnung berücksichtigende Argumente überzeugten den EuGH im vorliegenden Fall nicht bzw. wurden vom EuGH nicht diskutiert. Insbesondere der bezweckte ergänzende Schutz als Ausgleich für die fehlende Nutzungsmöglichkeit des Grundpatents in der Zeit zwischen der Anmeldung eines Patents und der Erteilung der Zulassung für das Arzneimittel fand keine Berücksichtigung. Der EuGH legt seiner Auslegung der ESZ-Verordnung vielmehr allein deren Wortlaut und systematische Argumente zugrunde.

a) Keine Gleichstellung einer Mitteilung über den Abschluss des Verfahrens mit einer Zulassung
Artikel 3 der ESZ-Verordnung legt die Bedingungen für die Erteilung eines ESZ fest. Artikel 3 lit. b) lautet im Wesentlichen: „Das Zertifikat wird erteilt, wenn (…) zum Zeitpunkt dieser Anmeldung (…) eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen (…) erteilt wurde (…)“.

Am Wortlaut orientiert stellte der EuGH fest, dass die Formulierung „erteilt wurde“ in Artikel 3 lit. b) der ESZ-Verordnung nur so verstanden werden könne, dass eine abgeschlossene Handlung erforderlich sei.

Folglich kann im Sinne der ESZ-Verordnung eine Mitteilung über den (erfolgreichen) Abschluss des Verfahrens, die nur einen (Zwischen-)Schritt auf dem Weg zu einer erteilten Zulassung darstellt, nicht entsprechend einer formell erteilten Zulassung behandelt werden. Daher entspreche die Mitteilung des BfArM vom 10. September 2014 nicht einer Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Artikel 3 lit. b) der ESZ-Verordnung, so dass am 12. September 2014 keine gültige Zulassung existierte.

Auch wenn eine Mitteilung über den (erfolgreichen) Abschluss des Verfahrens die Unbedenklichkeit des Arzneimittels bestätigt und der Feststellung der Identität des Erzeugnisses dient, auf das sich das ESZ bezieht, ermächtigt die Mitteilung den Antragsteller nicht dazu, das Arzneimittel auf einem bestimmten Markt in Verkehr zu bringen, was letztendlich Ziel einer Zulassung ist. Vor dem Hintergrund der ESZ-Verordnung ist der Zeitraum zwischen der Erteilung der Zulassung, ab der ein Produkt tatsächlich in den Verkehr gebracht werden darf, und dem Anmeldetag des Patents der maßgebliche Zeitraum, der durch ein ESZ kompensiert werden sollte. Die wörtliche Auslegung von Artikel 3 lit. b) steht somit im Einklang mit der früheren Entscheidung des EuGH i. S. Forsgren (C-631/13), nach der ein patentiertes Produkt nicht zur Erteilung eines ESZ führen kann, wenn für das betreffende Arzneimittel keine Zulassung erteilt wurde.

b) Voraussetzungen nach Artikel 3 der ESZ-Verordnung können nicht gemäß Artikel 10 Abs. 3 der ESZ-Verordnung geheilt werden
Auf die zweite Frage hin stellte der EuGH fest, dass das Fehlen einer erteilten Zulassung zum Zeitpunkt der Zertifikatsanmeldung kein Mangel sei, der nach Artikel 10 Abs. 3 der ESZ-Verordnung nachträglich geheilt werden könne.

Als Argument verweist der EuGH insbesondere auf den Wortlaut von Artikel 3 lit. b) der ESZ-Verordnung. Danach wird ein ESZ erteilt, „wenn (…) zum Zeitpunkt dieser Anmeldung (…) eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen (…) erteilt wurde".

Das EuGH verweist ferner auf den Wortlaut von Artikel 10 Abs. 3 der ESZ-Verordnung. Danach fordert die Behörde, wenn die Zertifikatsanmeldung nicht die in Artikel 8 genannten Voraussetzungen erfüllt, den Anmelder auf, „die festgestellten Mängel“ zu beseitigen. Gemäß Artikel 8 Abs. 1 lit. b) hat die Zertifikatsanmeldung auch eine Kopie der Zulassung nach Artikel 3 lit. b) zu enthalten. Laut EuGH lege der Wortlaut von Artikel 10 Abs. 3 der ESZ-Verordnung nahe, dass nur ein Mangel, der die Zertifikatsanmeldung betrifft, nach dieser Vorschrift geheilt werden kann. Sie könne jedoch nicht dazu verwendet werden, Mängel zu beseitigen, die mit dem Erzeugnis als Arzneimittel selbst in Zusammenhang stehen (hier: das Fehlen einer Zulassung). Nach Ansicht des EuGH gibt Artikel 10 Abs.3 der ESZ-Verordnung dem Anmelder lediglich die Möglichkeit, verschiedene Informationen und Unterlagen nachträglich beizubringen. Diese Korrekturmöglichkeit sei jedoch unabhängig davon zu sehen, dass die Bedingungen für die Erlangung eines ESZ nach Artikel 3 der ESZ-Verordnung zum Zeitpunkt der Einreichung der Zertifikatsanmeldung erfüllt gewesen sein müssen.

IV. Fazit – Praktische Überlegungen
Die in diesem Fall genutzte Auslegung der ESZ-Verordnung durch den EuGH kann für forschende Pharmaunternehmen zu schwierigen Konstellationen führen. Im vorliegenden Fall hat die (notwendige) Verzögerung bei der Entwicklung des marktreifen Arzneimittels dazu geführt, dass kein ergänzender Schutz durch ein ESZ neben dem Patentschutz erteilt werden konnte. Obwohl es das erklärte Ziel der ESZ-Verordnung ist, die anspruchsvolle Forschung innovativer Pharmaunternehmen zu fördern und einen exklusiven Produktschutz trotz der (zeit-)aufwendigen regulatorischen Zulassungsverfahren und -anforderungen zu ermöglichen, war es MSD nicht möglich, ein ESZ erfolgreich anzumelden.

Der vorliegende Fall unterstreicht auch die Bedeutung von gut koordinierten und eng verzahnten Abteilungen innerhalb forschender Pharmaunternehmen. Die Entwicklungsabteilung informiert die Abteilungen Regulatory and Product Launch fortlaufend über den Fortschritt der Entwicklung und die umfangreichen Studien von Produkten, die für das Inverkehrbringen vorbereitet werden. Regulatory and Product Launch können sich entsprechend für ein zentrales oder dezentrales Zulassungsverfahren entscheiden, wobei unter anderem der Entwicklungszeitrahmen maßgeblich berücksichtigt wird. Die Patentabteilung managt Patentportfolios und betreut Patentanmeldungen, die das zu entwickelnde Produkt schützen oder von diesem betroffen sind, so dass in bestem Fall ein Grundpatent bei Erteilung einer Zulassung für das Produkt noch in Kraft ist.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Entscheidung des  EuGH die Handhabung der ESZ-Verordnung durch innovative Pharmaunternehmen schwerer macht, da in bestimmten Konstellationen allein der Zeitfaktor verhindern wird, dass neu entwickelte Produkte von einem egänzenden Schutz profitieren.

In Zusammenhang mit diesem Urteil sei darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission derzeit eine öffentliche Konsultation zu ESZ und Ausnahmeregelungen für die Patentrecherche durchführt. Die Frist für die Einreichung von Vorschlägen für die Konsultation der Kommission endete am 4. Januar 2018. Ziel dieser Konsultation ist es, die Bedürfnisse der Industrie zu evaluieren und gegebenenfalls bestimmte Aspekte des Patentschutzes und des ESZ-Schutzes anzupassen. Weitere Informationen hierzu werden wir zu gegebener Zeit veröffentlichen.

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