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Im Zweifel für das Handelsregister und für einen Gesellschafterbeschluss zur Absicherung

Datum: 3. Dezember 2024

In seiner Entscheidung vom 9. Januar 2024 (II ZR 220/22) hat sich der Bundesgerichtshof in zweifacher Hinsicht zur Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers geäußert. Es geht um die Publizitätswirkung des § 15 Abs. 1 HGB und um den Missbrauch der Vertretungsmacht. Beide Themen sind für die Praxis von hoher Relevanz.

Der Sachverhalt

In dem vom BGH entschiedenen Fall war eine GmbH mit zwei Gesellschafterinnen in der Projektentwicklung im Immobilienbereich tätig. Im Jahr 2015 erwarb die GmbH ein mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebautes Grundstück mit einem Verkehrswert von rund 16 Millionen Euro. Dieses Grundstück stellte im Wesentlichen den einzigen Vermögenswert der GmbH dar. Drei Jahre später stimmte die Mehrheitsgesellschafterin in einer Gesellschafterversammlung gegen die Minderheitsgesellschafterin für die Abberufung des Geschäftsführers. Die Wirksamkeit dieses Beschlusses wurde sowohl von dem abberufenen Geschäftsführer als auch von der unterlegenen Minderheitsgesellschafterin wegen möglicher Formfehler bei der Einberufung der Gesellschafterversammlung angefochten. Zwei Tage nach der Gesellschafterversammlung verkaufte die GmbH, vertreten durch den (abberufenen) Geschäftsführer, das Grundstück für 12,2 Millionen Euro an einen Dritten. Die Abberufung war zu diesem Zeitpunkt (natürlich) noch nicht im Handelsregister eingetragen. Für den Käufer wurde eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Der Käufer behauptete, der Notar habe das Fehlen eines Gesellschafterbeschlusses über den Verkauf des Grundstücks als unschädlich angesehen. Er habe zwar gewusst, dass der Geschäftsführer abberufen worden war, aber auch, dass Zweifel an der Wirksamkeit der Abberufung bestanden. Die GmbH klagte gegen den Käufer auf Löschung der Auflassungsvormerkung.

Entscheidung des BGH

Rechtsschein des abberufenen Geschäftsführers

Der Bundesgerichtshof (BGH) ging in seiner Entscheidung davon aus, dass die Abberufung des Geschäftsführers rechtmäßig war. Da sich die organschaftliche Vertretungsmacht aus der Stellung als Geschäftsführer ergebe, habe zum Zeitpunkt der Grundstücksveräußerung keine Vertretungsmacht mehr bestanden. 

Eine wirksame Vertretung der GmbH durch den abberufenen Geschäftsführer war daher nur über die Rechtsscheinwirkung des § 15 Abs. 1 HGB möglich. Ein Rechtsschein liegt vor, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Sachverhalt in einer bestimmten Gestaltung vorliegt, dieser Sachverhalt aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB entsteht der Rechtsschein durch Nichteintragung und/oder Nichtveröffentlichung einer eintragungspflichtigen Tatsache. Schweigt das Handelsregister, so darf der Rechtsverkehr darauf vertrauen, dass in der Zwischenzeit keine eintragungspflichtigen Tatsachen eingetreten sind (sog. negative Publizität).

Zu den eintragungspflichtigen Tatsachen gehören gemäß § 39 Abs. 1 2. Fall GmbHG die Bestellung sowie die Abberufung eines Geschäftsführers. Die Abberufung des handelnden Geschäftsführers war zum Zeitpunkt der Grundstücksveräußerung noch nicht in das zuständige Handelsregister eingetragen. Damit konnte sich die Gesellschaft Dritten gegenüber nicht auf die Abberufung berufen und der Käufer durfte davon ausgehen, dass der Geschäftsführer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Vertretung der GmbH berechtigt war.

Die Berufung auf die fehlende Eintragung im Handelsregister ist dem Dritten allerdings - mangels Schutzwürdigkeit - verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der eintragungspflichtigen Tatsache hat. Diese ist gegeben, wenn der Dritte durch stichhaltige und nachvollziehbare Informationen zuverlässige Kenntnis von der einzutragenden Tatsache erlangt. Positive Kenntnis liegt nicht bereits bei Kennenmüssen oder grob fahrlässiger Unkenntnis vor.

Für die Feststellung der positiven Kenntnis ist nach dem BGH auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Legen die konkreten Umstände nahe, dass der Dritte die jeweiligen Umstände kennt, aus denen sich die Kenntnis von der Unrichtigkeit der eingetragenen Tatsache zwingend ergibt, ist von positiver Kenntnis auszugehen. Die Beweislast hierfür trägt der Eintragungspflichtige.

Der BGH hatte daher zu beurteilen, ob die Kenntnis des Dritten von dem Abberufungsbeschluss des handelnden Geschäftsführers der positiven Kenntnis vom Nichtbestehen der Vertretungsmacht gleichsteht und wie die Kenntnis des Dritten von den vom Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter geäußerten Zweifeln an der Wirksamkeit des Beschlusses zu bewerten ist.

Der BGH hat klargestellt, dass die Kenntnis von einem Abberufungsbeschluss nicht geeignet ist, zweifelsfrei auf die Unrichtigkeit der eintragungspflichtigen Tatsache zu schließen. Nach Auffassung des BGH lassen Zweifel an der Wirksamkeit des bekannt gemachten Widerrufs einen solchen Schluss gerade nicht zu. Zweifel können sich aus einer Mitteilung des Geschäftsführers ergeben, dass er sich gegen die Abberufung gerichtlich zur Wehr setzt oder setzen will. Darüber hinaus ist auch die Kenntnis von Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern über die Wirksamkeit der Abberufung geeignet, eine positive Kenntnis zu verneinen. In diesen Fällen wird dem Rechtsverkehr keine sichere Kenntnis vermittelt.

Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei Kenntnis solcher Tatsachen Zweifel an der einzutragenden Tatsache entstehen. Für den Rechtsverkehr steht in diesen Fällen nicht gesichert fest, ob eine ordnungsgemäße Abberufung des Geschäftsführers erfolgt ist oder nicht. Der Sachverhalt stellt sich als unklar dar, die Aussagekraft der erlangten Information wird für den Rechtsverkehr entwertet. Dieser Umstand ist bei der Beurteilung der positiven Kenntnis zu berücksichtigen. Werden mit der Kenntnis von der Abberufung gleichzeitig Umstände bekannt, die die Wirksamkeit und den Bestand der Abberufung des Geschäftsführers zweifelhaft erscheinen lassen, liegt daher gerade keine positive Kenntnis vor.

Dementsprechend hat der BGH entschieden, dass sich der Dritte auf den Rechtsschein des § 15 Abs. 1 HGB berufen kann.

Missbrauch der Vertretungsmacht bei Veräußerung des gesamten Vermögens einer GmbH

Darüber hinaus hatte sich der BGH mit der Frage zu befassen, ob ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorlag, weil das veräußerte Grundstück das wesentliche Vermögen der GmbH darstellte und kein Gesellschafterbeschluss über die Veräußerung des Grundstücks gefasst worden war.

Der BGH bestätigt zunächst seine Rechtsauffassung, dass sich eine Unwirksamkeit des Grundstückskaufvertrags nicht aus einer analogen Anwendung des § 179a AktG ergeben kann. Nach § 179a AktG ist bei der Aktiengesellschaft ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich, wenn das gesamte Vermögen der AG übertragen wird und die Übertragung nicht unter die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes fällt. Nach Auffassung des BGH bedürften die Gesellschafter einer GmbH dieses Schutzes nicht, da sie im Vergleich zu Aktionären über weitergehende Mitwirkungs-, Kontroll- und Informationsrechte verfügten, woraus sich ein geringeres Schutzbedürfnis der Gesellschafter vor Alleingängen ihres Geschäftsführers ergebe. Insofern passe die Beschränkung der Vertretungsmacht mit Außenwirkung nicht auf die GmbH.  

Im Innenverhältnis bedürfe der Geschäftsführer für ein derart bedeutsames Geschäft jedoch gemäß § 49 Abs. 2 GmbHG eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses, auch wenn die Satzung dies nicht ausdrücklich vorsehe. Der BGH stellt klar, dass dies auch dann gilt, wenn das übertragende Gesellschaftsvermögen im Wesentlichen aus einem Grundstück besteht und der Unternehmensgegenstand in der Veräußerung von Grundstücken besteht. Denn das Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses, der die Kontrollbefugnisse der Gesellschafterversammlung in ihrer Gesamtheit sowie den Minderheitenschutz sicherstelle, ergebe sich aus der gesellschaftsinternen Kompetenzordnung der GmbH, weshalb ein solcher Zustimmungsbeschluss unabhängig von der Ausgestaltung des Unternehmensgegenstands der Klägerin erforderlich sei. Durch den Abschluss des Kaufvertrages über das im Wesentlichen das Gesellschaftsvermögen bildende Grundstück ohne vorherigen Zustimmungsbeschluss habe der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht im Innenverhältnis missbraucht. 

Im Außenverhältnis ist die Vertretungsmacht des Geschäftsführers nach § 37 Abs. 2 GmbHG grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbar. Grenzen ergeben sich jedoch - auch mit Wirkung gegenüber Dritten - aus den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Die Missachtung von Regeln und Weisungen, die sich aus dem Innenverhältnis des Vertreters zum Vertretenen ergeben, wirkt sich erst dann im Außenverhältnis aus, wenn die Grenzen des rechtlich Zulässigen überschritten werden. Das Vertrauen des Geschäftsgegners in den Bestand des Geschäfts ist nicht schutzwürdig, wenn er weiß oder es ihm geradezu aufdrängen muss, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbrauchst. Notwendig ist dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs. Die objektive Evidenz ist insbesondere dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage geradezu aufdrängt. In einem solchen Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht kann der Geschäftsgegner aus dem formal durch die Vertretungsmacht gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte herleiten. 

Dies wird nach der Rechtsprechung des BGH häufig anzunehmen sein, wenn das gesamte Unternehmen als Ganzes übertragen werden soll. Denn einem verständigen Vertragspartner müsse grundsätzlich klar sein, dass der Geschäftsführer die GmbH nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter unternehmenslos machen könne. Aber auch wenn - wie hier - mit einem Grundstück nur ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen werden soll, könne es sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen, dass der Geschäftsführer das Geschäft wegen seiner Bedeutung für die Gesellschaft nicht ohne Rückversicherung bei den Gesellschaftern vornehmen kann.

Der BGH stellt klar, dass die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB gelten. Die Rechtsscheinregeln bewirken, dass sich derjenige, der den Rechtsschein zurechenbar gesetzt hat, dem gutgläubigen Dritten gegenüber, der sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf die wahre Rechtslage berufen kann.. 

Ob sich dem Käufer im vorliegenden Fall eine solche Evidenz des Missbrauchs der Vertretungsmacht hätte aufdrängen müssen, hat der BGH nicht entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da noch nicht hinreichend aufgeklärt sei, ob der Notar tatsächlich darauf hingewiesen habe, dass ein Gesellschafterbeschluss nicht erforderlich sei. Wäre dies der Fall gewesen, hätte sich der Dritte auf diesen Rat des Notars verlassen dürfen.

Praktische Folgen

Mit dieser Entscheidung stärkt der BGH die Reichweite des § 15 Abs. 1 HGB und das Vertrauen in das Handelsregister. Die Grenzen der positiven Kenntnis werden aufgezeigt. Es wird klargestellt, dass das Vorliegen ihrer Voraussetzungen nicht voreilig angenommen werden darf. Damit bestätigt und festigt das Urteil den Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 HGB und dient zugleich dem effektiven Schutz des Rechtsverkehrs.

Den Gesellschaften ist zu raten, dafür Sorge zu tragen, dass eintragungspflichtige Tatsachen so schnell wie möglich in das zuständige Handelsregister eingetragen werden. Nur so kann die Gesellschaft diese Tatsachen Dritten entgegenhalten und sich im Streitfall darauf berufen. Dies ist umso wichtiger, als positive Kenntnis nur schwer zu beweisen ist. Die bloße Kenntnis eines Dritten von einem streitigen Abberufungsbeschluss reicht, wie dargelegt, nicht aus, um die Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB zu verhindern.

Zugleich hat der BGH die Anforderungen an die Erkennbarkeit des Missbrauchs der Vertretungsmacht konkretisiert und klargestellt, dass ein Missbrauch auch für einen juristischen Laien offenkundig ist, wenn es sich auch bei der Übertragung eines Vermögensgegenstandes um das wesentliche Vermögen der GmbH handelt. Für die Praxis, insbesondere bei Immobilientransaktionen, ergibt sich daraus die Empfehlung an die Käuferseite, sich in diesen Fällen sicherheitshalber einen Gesellschafterbeschluss vorlegen zu lassen.

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